Sprachentwicklung bei DaZ-Kindern
Mehrsprachigkeit allgemein
Mythen und Wissen
Mehrsprachigkeit- Thesen
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Wird durch den Wortschatz der Zweitsprache der Wortschatz der Erstsprache negativ beeinflusst?
Nein! Mehrsprachigkeit verwässert die Erstsprache nicht. (Die Fähigkeit, mehrere Instrumente spielen zu können, mindert auch nicht die Musikalität).
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Was bedeutet "Mehrsprachigkeit" = Gebrauch der Sprachen in Wort und Schrift? Oder fließende Kommunikation? Oder einzelne Wörter?
Menschen gelten als mehrsprachig, wenn sie zwei oder mehr Sprachen im Alltag verwenden und zwischen diesen Sprachen problemlos wechseln können, etwa um eine Unterhaltung aufrecht zu erhalten. Grosjean (2010) schlägt vor, denjenigen als bilingual zu bezeichnen, der zwei Sprachen oder Dialekte im Alltag nutzt.
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Der Besuch einer Kita und der dortige Kontakt mit der Sprache reichen aus, um Deutsch zu erlernen.
Im Prinzip ja, ist aber abhängig von: Quantität des Besuchs Möglichst frühzeitig und ausreichend viele Stunden Qualität der sprachlichen Interaktion der pädagogischen Fachkräfte mit den Kindern Je optimaler der sprachförderliche Umgang in der Kita, desto einfacher und schneller kann die Sprache gelernt werden.
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Eltern sollten in Deutsch mit ihren Kindern sprechen, unabhängig von ihrer eigenen Sprache.
Nein! Eltern sollten die Sprache sprechen, die sie am besten beherrschen. Korrekte Sprachvorbilder sind extrem wichtig. Es ist wichtig, dass Eltern z.B. außerhalb des familiären Umfelds Deutsch sprechen und dass pädagogische Fachkräfte die Erstsprachen wertschätzen.
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Was hat Einfluss auf Tempo und Niveau des Zweitspracherwerbs? -Motivation? -Begabung? -Persönlichkeitseigenschaften? -Struktur der Erstsprache? -Erwerbsalter? -Sozio-ökonomischer Status der Familie? -Qualität/Quantität des Inputs in der Zweitsprache?
Motivation: Motivation spielt bei erwachsenen Zweitsprachlernenden eine Rolle, bei Kindern allerdings weniger. Kinder zeigen generell eine große Tendenz sich an eine neue Umgebung, Kultur und Sprache zu assimilieren. Begabung: Faktoren wie non-verbaler IQ, analytische Fähigkeiten und (Arbeits-)gedächtnisvermögen spielen sowohl beim Erst- wie auch beim Zweitspracherwerb eine große Rolle, wenn es um individuelle Unterschiede geht. Persönlichkeitseigenschaften: Kontaktfreudige Kinder initiieren von sich aus Peer-Interaktionen und sind i.d.R. erfolgreiche Zweitsprachlerner. Schüchterne und weniger soziale Kinder machen trotzdem schnell Fortschritte in einer Zweitsprache. Sie kompensieren die geringeren sozialen Interaktionen mit ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten und einer hohen Aufmerksamkeit ggü. den päd. Fachkräften. Struktur der Erstsprache: Wird kontrovers diskutiert. Es geht weniger um eine bestimmte Erstsprache, sondern eher um die Ähnlichkeit der Erst- und Zweitsprache. Generell sind die Effekte eher klein und auch weniger bedeutend als bspw. die kognitiven Fähigkeiten. Erwerbsalter: Je früher der Beginn, desto besser das erreichte Niveau. Nicht ganz geklärt ist hingegen die Frage, ob es so etwas wie eine biologisch bedingte Ursache für diesen Effekt gibt („kritische Periode“). Sozio-ökonomischer Status der Familie: Für den Erstspracherwerb haben das Familieneinkommen und das elterliche Bildungsniveau enorme Vorhersagekraft für die Sprachentwicklung eines Kindes. Qualität und Quantität des Inputs: Wenn z.B. die Eltern zu Hause mit ihren Kindern in der Zweitsprache sprechen, ist der Input i.d.R. qualitativ weniger reichhaltig und die Kinder profitieren wenig davon.
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Muttersprache- Erstsprache- Herkunftssprache- Familiensprache- Code-Switching gesteuerter Zweitspracherwerb ungesteuerter Zweitspracherwerb L1 und L2
Muttersprache=die Sprache, die wir von Geburt an lernen. Erstsprache=wissenschaftliche Bezeichnung für "Muttersprache" Herkunftssprache=Sprache(n), die die Eltern sprechen Familiensprache= die Sprache, die zu Hause gesprochen wird. Code-Switching=das Wechseln zwischen zwei Sprachen innerhalb eines Gesprächs
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Sprachentwicklung wird am besten durch Geborgenheit gefördert.
Wärme, Liebe und Akzeptanz sind wichtige Faktoren. Einfluss haben aber auch andere Faktoren (Sprachanregungen, Lebenswelt, Kultur, Gesellschaft, körperliche und geistige Voraussetzungen)
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Auf lange Sicht sollte Mehrsprachigkeit überwunden werden, so dass sich alle Kinder in Deutsch unterhalten.
Nein!
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Was sind typische Stolpersteine für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache?
-Verbzweitstellung (stattdessen: ungebeugte Verben an 2. Stelle) (oder Verbdrittsätze: "Dann der Frosch geht weg") -Genusmarkierung: Artikeleinsetzung, besonders in Verbindung zu Adjektiven: "eine große Auto", Auslassung von Artikeln teilweise noch nach 24 Kontaktmonaten) -Präpositionen (Auslassung z.B. "wir gehen Zoo") -Kasusmarkierung: Nominativ/Akkusativ/Dativ
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Gilt Dialekt auch als mehrsprachig?
Ja. Manche Forscher betrachten auch Dialekt-Sprecher, die im Alltag zwischen Standard-Variante und Dialekt wechseln, als bilingual.
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Mehrsprachige Kinder sind in ihrer Sprachentwicklung langsamer als einsprachige.
Nicht endgültig geklärt, möglich, aber nicht in jedem Fall. Eine oder alle Sprachen können sich langsamer entwickeln. Rückstände werden meist schnell aufgeholt. Mehrsprachige Kinder mit Sprachschwierigkeiten (z.B. Dyslexie) sind nicht überproportional vertreten im Vergleich mit einsprachigen Kindern und denselben Schwierigkeiten. Der Wortschatz in der Zweitsprache ist anfangs geringer, kann sich aber schnell bis zum Erstsprachniveau steigern.
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Mehrsprachige haben das gleiche und perfekte Wissen über ihre Sprachen.
Nein! Mehrsprachige Menschen beherrschen die Sprachen bis zu dem Level, zu dem sie gebraucht werden. Einige haben eine "dominante Sprache", andere wissen nicht, wie man in der einen Sprache liest oder schreibt. Manche haben nur passives Wissen über eine Sprache und nur eine sehr kleine Gruppe beherrscht ihre Sprachen auf gleichem Niveau und gleichermaßen flüssig.
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Wieviele Monate benötigen Zweitsprachlerner, um im Wortschatz zu einsprachigen Gleichaltrigen aufzuschließen?
Die Kinder benötigen ca. 5 Jahre Kontakt zur Zweitsprache, um im Wortschatz zu den einsprachigen Altersgenossen aufzuschließen. Kinder benötigen insgesamt ca. 72 Monate, um Deutsch als Fremdsprache zu erlernen.
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Wieviele Sprachen werden in Marokko gesprochen? Indien? Papa-Neuguinea?
in Marokko: 300 Berbersprachen (und Französisch als Bildungssprache, Englisch) in Indien: 122 Sprachen (30 Amtssprachen) in Papa-Neuguinea: 700 Sprachen Insgesamt ca. 6900 Sprachen weltweit (7000 Sprachen vs. 193 Länder) Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung ist mehrsprachig.
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Mehrsprachigkeit ist eine kognitive Überforderung.
Nein, Mehrsprachigkeit hat Vorteile! bessere verbale Flüssigkeit, größeres (kombiniertes) Vokabular leichteres Erlernen weiterer Fremdsprachen „metasprachliches Bewusstsein“ (Nachdenken über Sprache) verspäteter Onset von Morbus Alzheimer (Bialystok, Craik & Freedman, 2007)
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Kinder sollten erst eine Muttersprache richtig lernen und dann mit der nächsten beginnen.
Nein! Das Mischen von Sprachen ist völlig normal! Es ist eher ein Ausdruck hoher Sprachkompetenz und gibt sich meist im weiteren Verlauf. Zwei Sprachen zu lernen, stellt keine Überforderung dar. Die Bedingungen, zwei Sprachen zu lernen, sind im Alter von 0-3 Jahren besonders günstig. Es gibt keine "Schwelle", die man überschreiten muss.
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Was sind Zeichen im produktiven Gebrauch der Zweitsprache?
Die Kinder sind in der Lage, Sätze zu konstruieren und eine Unterhaltung zu führen/aufrecht zu erhalten. -Lautauslassungen/-ersetzungen -Vereinfachung von Konsonantenverbindungen ("Bot" statt "Brot") (oder: "Borot" - Aussprache nach lautlichem Vorbild der Erstsprache) -Entwicklung der Grammatik wie bei einsprachig aufwachsenden Kindern: ...nach 6 Kontaktmonaten: Wortkombinationen (vgl. Kinder im Alter von 1,5 bis 2 Jahren) ...nach 12 Kontaktmonaten Verzweitstellung, Infinitive Verben am Satzende ...nach 24 Kontaktmonaten: Nebenssätze
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Ist bilingual/mehrsprachig= bi-/multikulturell?
Ja, denn Sprache und Kultur sind eng miteinander verbunden. Jede Sprache bewahrt kulturelle Besonderheiten sowie ein historisches und regionales Wissen auf (z.B. sorbisch, plattdeutsch)
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Mehrsprachige Kinder haben häufiger Sprach-entwicklungsstörungen (SES) als einsprachige Kinder.
Nein! SES sind genauso häufig (ca. 6-8%). Mehrsprachigkeit ist keine Ursache für eine Sprachentwicklungsstörung.
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Das Mischen von Sprachen ist völlig normal und hat keine negativen Folgen.
Stimmt! -„Code-Mixing“ wird mittlerweile als völlig normal angesehen (kein Anzeichen für eine Sprachentwicklungsstörung!) -häufig bei Kindern, die Sprachen gleichzeitig erwerben -eher Ausdruck hoher Sprachkompetenz -gibt sich meist schnell im weiteren Verlauf